Psychosoziale Versorgung Geflüchteter verbessern

FlüchtlingspolitikKatina Schubert

41. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 9. Mai 2019

Katina Schubert (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ahnungslosigkeit der AfD ist wirklich erschütternd. Offensichtlich haben Sie noch nicht einmal den Antrag gelesen, denn es geht hierbei tatsächlich um eine Überführung der Regelsysteme der sozialen und psychosozialen Versorgung.

[Dr. Dieter Neuendorf (AfD): Das wollen wir nicht!]

Aber lesen bildet. Das ist keine Frage. Das haben Sie ausgelassen.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Ja!]

Ich war gestern, wie viele andere hier auch, bei der Ehrung zum 8. Mai, zum 74. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Dabei sind mir viele sehr alte Menschen begegnet, denen die Erlebnisse des Krieges noch sehr wach vor Augen stehen. Hätten die damals Möglichkeiten zur Traumabewältigung gehabt, wie wir sie heute haben, würde es ihnen wahrscheinlich heute anders und besser gehen. Ich glaube, wir sind in der Verpflichtung gegenüber Menschen,

[Stefan Franz Kerker (AfD): Wir sind überhaupt nichts!]

die hierher geflohen sind aus Krieg, aus Folter, aus Gewaltverhältnissen – – 

[Stefan Franz Kerker (AfD): Nehmen Sie SED-Vermögen!]

– Halten Sie die Klappe! Jetzt bin ich dran! – Diesen Menschen die Hilfe zu ermöglichen, die tatsächlich verfügbar ist.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall von der SPD –
Stefan Franz Kerker (AfD): Spenden Sie
doch Ihr Vermögen! –
Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Diese Menschen haben Dinge erlebt, die die meisten von uns hier zum Glück nicht erleben mussten.

[Kurt Wansner (CDU): Die Leute in der DDR auch!]

Ich bin immer noch dankbar dafür, dass ich so etwas nicht erleben musste. Ich kann mir vorstellen, wie es ist, wenn man aus einem Bombenhagel geflohen ist. Ich kann mir vorstellen, welche Ängste man durchsteht, wenn man auf einem kleinen Bötchen auf dem Mittelmeer ist und nicht weiß, ob man ankommt. Ich kann mir vorstellen, was mit einem passiert, wenn man es dann endlich geschafft hat, hierherzukommen, und kriegt dann solche Leute vor die Nase gesetzt, die einem erklären: Haut doch schnell wieder ab! Ihr habt hier nichts zu suchen! Was interessiert uns euer Leid. Das ist beschämend, was Sie hier aufführen!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN –
Stefan Franz Kerker (AfD): Nein, Sie leben in einer Traumwelt!]

Diese ganzen Erfahrungen ziehen natürlich Traumata nach sich, und da muss man keine Psychologin, kein Psychologe sein, um zu ermessen, was da passiert.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Ich kriege ein Trauma,
wenn ich Ihnen zuhören muss!]

Insofern ist es notwendig, dass wir weiter überlegen, wie wir eine psychosoziale Versorgung von Menschen, die geflüchtet sind, die hier Schutz und Aufnahme gefunden haben, organisieren können. Da haben wir gute Erfahrungen mit den Übergangssystemen der Clearingstelle in der Charité gemacht, aber wir müssen jetzt ein Stück weiterkommen. Natürlich ist es wichtig, dass die Erfahrungen, die dort gesammelt werden, sich auch tradieren, dass sie übergeführt werden in die Regelsysteme, dass wir es schaffen, die muttersprachliche, die kultursensible Begleitung auch der Traumabearbeitung, der psychosozialen Versorgung auszuweiten, dass diese psychosoziale Versorgung in der Lage ist, der multikulturellen Realität, die wir in unserer Stadt haben, auch zu entsprechen.

Wir haben natürlich noch ein anderes Problem. Viele der Geflüchteten, die noch keinen Status haben, die noch nicht statusgewandelt sind und in die Zuständigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, haben Anspruch auf Notfallbehandlung. Es ist immer noch umstritten, ob psychische Erkrankungen normale Krankheiten sind, ob sie dann eine vernünftige soziale Betreuung bekommen, wenn sie an Traumata leiden. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Regelsysteme so öffnen, dass psychische Probleme und Traumata auf jeden Fall behandelt werden und dass die Erfahrungen und das Wissen, beispielsweise der Initiative für die Behandlung von Folteropfern, von Xenion, sich in den Regelsysteme tradiert.

In einem hat die CDU auch recht. Das Thema psychische Erkrankungen und der Ausbau der Versorgung ist etwas, was die gesamte Bevölkerung betrifft. Mittlerweile ist die psychische Erkrankung auf Platz 2 der Liste der häufigsten Erkrankungen. Immer noch ist es für viele tabuisiert. Es wird ungern darüber geredet. Da ist Gott sei Dank etwas aufgebrochen, dass es mittlerweile auch ein sprechbares Thema ist. Insofern sind wir gut beraten, diesen Antrag in den Ausschüssen sehr ernsthaft zu überlegen, ihn umzusetzen und noch weitere Schritte zu gehen, denn Gesundheit ist nicht nur, wenn alle Beine, Arme und Organe funktionieren, sondern die Seele ist genauso ein Teil des menschlichen Körpers, und wenn es da hakt, dann funktioniert alles andere auch nicht. Wenn wir wollen, dass Integration und Teilhabe funktionieren, dass alle Menschen sich wohlfühlen in dieser Stadt, dann muss es auch möglich sein, dass allen Menschen entsprechend ihres Status, ihrer Situation, ihrer Herkunft geholfen wird.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Lebensfremd! Sie leben in einer Traumwelt!]

Das heißt kultursensibel. Das heißt demokratisch, und Sie haben keine Ahnung. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]