Senat handelt bei der Flüchtlingsunterbringung

Am 8. Dezember hat der Senat seine Arbeit aufgenommen. Ende Dezember waren bereits zehn Turnhallen geräumt, 850 Menschen haben endlich menschenwürdigere Bedin-gungen zu wohnen und zu leben. Es ist ein großer Schritt für die geflüchteten Menschen, es ist aber auch ein wichtiger Schritt für die rot-rot-grüne Koalition.

Rede als Video

Aus dem Vorab-Wortprotokoll

5. Sitzung, 26. Januar 2017

 

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Senat handelt bei der Flüchtlingsunterbringung.“

(auf Antrag der Fraktion Die Linke)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Kollegin Schubert, bitte, Sie haben das Wort!

  [Sven Rissmann (CDU): Schon wieder!]

Katina Schubert (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Dezember hat der Senat seine Arbeit aufgenommen.

[Heiko Melzer (CDU): Hat der Senat
seine Arbeit aufgenommen?]

Ende Dezember waren bereits zehn Turnhallen geräumt, 850 Menschen haben endlich menschenwürdigere Bedingungen zu wohnen und zu leben. Es ist ein großer Schritt für die geflüchteten Menschen, es ist aber auch ein wichtiger Schritt für die rot-rot-grüne Koalition, ja für die Politik in Berlin, denn dieser Schritt hat gezeigt, dass es möglich ist, schnell Dinge zu bewegen, dass Berlin nicht zwangsläufig ständig in Chaos oder Unbeweglichkeit verfallen muss.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Hier haben zwei Senatorinnen und Senatoren, nämlich Elke Breitenbach und Matthias Kollatz-Ahnen, die Köpfe zusammengesteckt und in einer vermeintlich verfahrenen Situation kreative Lösungen gefunden, und das mit Unterstützung des gesamten Senats.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Das ist gut und spricht für den Beginn einer guten, ressortübergreifenden Zusammenarbeit.

Wir haben hier in Berlin nach wie vor eine breite Szene von Freiwilligen, die permanent im Einsatz sind, den Geflüchteten helfen, wo sie nur können. Ohne sie hätten die Umzüge nicht so vonstattengehen können. Dafür auch an dieser Stelle noch einmal vielen Dank an alle Freiwilligen! Und vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen im LAF und in der Verwaltung, die manches möglich machten, was vor dem 8. Dezember noch unmöglich erschien.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Die Geflüchteten, die kurz vor Weihnachten umgezogen sind, haben zum Teil seit über einem Jahr in ihren jeweiligen Hallen gewohnt. Und wer jemals in einer solchen Turnhalle war, unter welchen Bedingungen: Nicht nur, dass es da immer noch nach Turnhalle roch, sondern es gab auch null Privatsphäre, es gab immer Lärm, oft schlechtes Essen, wenig Möglichkeiten, etwas zu machen oder gar in Ruhe zu lernen. Und es ist kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen nicht nur Langeweile, Lethargie, psychische Erkrankungen entstehen, sondern auch massive Aggressionen, dass es immer wieder zu Gewalttaten kam. Solche Bedingungen vom permanentem Stress und Hoffnungslosigkeit sind neben vielen anderen Dingen auch der ideale Boden für Rekrutierungsabsichten von radikalen Gruppen bis hin zur Terrororganisation IS. Auch deswegen ist es sehr gut, dass es gelungen ist, die Turnhallen schnell zu räumen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Sport ist wichtig für unsere Gesellschaft. Sport führt in vieler Hinsicht zu ganz praktischer gesellschaftlicher Integration. Auch deswegen ist es gut, dass wir jetzt die Hallen wieder für den Sport zur Verfügung haben, für die Gesellschaft insgesamt.

In der nächsten Woche ziehen die Bewohnerinnen und Bewohner von vier weiteren Turnhallen in das erste MUF, eine modulare Flüchtlingsunterkunft. Dort gibt es nicht nur Zimmer, sondern endlich auch Wohnungen. Die geflüchteten Menschen können dort beginnen, ein ganz oder wenigstens fast normales Leben zu führen. Und zügig werden auch die restlichen Turnhallen freigezogen. 1 300 Menschen werden ein vertretbares Zuhause finden. Das geht nicht ohne Probleme ab, das ist klar. Der Umzug nächste Woche hat einen Pferdefuß. Die vier Turnhallen stehen in Steglitz-Zehlendorf, das MUF in Marzahn-Hellersdorf. In Steglitz-Zehlendorf gibt es in absehbarer Zeit keine beziehbaren Unterkünfte. Das bedeutet, die Kinder, deren Familien nicht doch noch im Bezirk selbst untergebracht werden können, müssen umgeschult werden. Das ist für die Kinder schwierig. Aber die Menschen ziehen zusammen, und die Sozialbindungen untereinander bleiben erhalten. Grundsätzlich gilt für uns aber: Sozialraumbindung geht vor Schnelligkeit, wenn es nur um Wartezeiten von wenigen Tagen oder auch mal zwei Wochen geht.

Wenn die Turnhallen leer sind, geht es daran, auch die anderen Massennotunterkünfte wie das ICC, die Hangars auf dem Tempelhofer Feld oder die Einrichtung Mertensstraße zu schließen und die Menschen vernünftig unterzubringen, und das möglichst schnell. Insofern ist es gut, beispielsweise das ehemalige Abschiebegefängnis in Grünau zu einer Gemeinschaftsunterkunft umzubauen und für freies Wohnen zugänglich zu machen. Die Henkelsche Idee eines Abschiebelagers ist passé.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Der neue Senat hat ernst gemacht mit einer neuen humanitären, an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitik für Berlin. Die Zustände in den Hallen forderten entschiedenes Handeln statt monatelangem Attentismus, weil die Ausschreibungen schiefgelaufen sind. Deshalb war es richtig, nach dem ASOG zu handeln, deshalb ist es vernünftig, Interimsvergaben vorzunehmen, und es ist notwendig, die europaweiten Ausschreibungen für die endgültigen Vergaben nach transparenten Qualitätskriterien zu organisieren.

In diesem Zusammenhang mein Dank an die Wohlfahrtsverbände und Betreiber, die die Ärmel hochgekrempelt und die neuen Unterkünfte in Betrieb genommen haben! So muss das gehen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Wir brauchen ein Flüchtlingsmanagement, das das Elend abstellt und menschenwürdige Bedingungen in der Flüchtlingsunterbringung herstellt. Da sind gute Ansätze vorhanden, und die müssen jetzt verstetigt und mit ausreichend Personal untersetzt werden.

Verzahnt mit dem Flüchtlingsmanagement ist die Organisation von gesellschaftlicher Integration und Teilhabe. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, also das LAF, mit mehr Personal stärker auf Integration auszurichten, die Wege in die Regelsysteme für die Geflüchteten bestmöglich zu öffnen und die Bezirke in die Lage zu versetzen, treibende Kräfte aktiver gesellschaftlicher Integration zu werden. Im Nachtragshaushalt bildet sich das bereits ab, jedenfalls zum Teil.

Es gibt drei wesentliche Schlüssel zur Integration: Sprache, Wohnen sowie Bildung und Erwerbsarbeit. – Völlig unabhängig von Bleibeperspektiven im Aufenthaltsrecht brauchen Geflüchtete mit ihrer Ankunft hier die Chance auf Teilhabe. Deshalb ist es so wichtig, dass sie Zugang zu Sprachkursen bekommen, auch jenseits der BAMF-Kurse, so, wie wir es vereinbart haben, dass sie vernünftig untergebracht sind, dass sie sich selbst versorgen können und schnell eine Erst- und dann Folgeberatungen bekommen.

All das haben wir uns als rot-rot-grüne Koalition vorgenommen, und das werden wir in ressortübergreifender Zusammenarbeit sowohl auf der Ebene der Senatsverwaltungen als auch auf der Ebene der Fraktionen hinbekommen. Dabei wissen wir, dass wir gegen den Mainstream schwimmen, dass wir die Hoffnung auf die Seite der Geflüchteten ziehen wollen, statt auf Ausgrenzung, Abwertung und auf Rassismus zu setzen. Berlin kann der Trendsetter und ein Vorbild für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik sein, was nach dem LAGeSo-Chaos von 2015 ein notwendiger und guter Wechsel im Bild und Image der Stadt wäre.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Berlin ist international, Berlin ist weltoffen, und deswegen werden wir alles daran setzen, ausreichend Wohnraum für alle zu schaffen, es nicht zulassen, dass die geflüchteten Menschen gegen andere Menschen mit niedrigen Einkommen ausgespielt werden, dass Neid und Konkurrenz gegen die sozial Benachteiligten geschürt werden. Der Freizug der Turnhallen war erst der Anfang eines langen und sicher auch schwierigen Prozesses, in dem wir die Berlinerinnen und Berliner bestmöglich mitnehmen müssen. Er war ein guter Anfang. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]